Moldenhauer, offensichtlich unter extremen Schmerzen leidend, stöhnend: „Und was bedeutet dieses Contenance? Hab ich noch nie gehört…“
Grebert: „Im Duden steht ‚Haltung‘. Donald Tusk meinte wohl damit, wir sollten HALTUNG bewahren!“
Moldenhauer: „Und warum sagt er das dann nicht einfach? Ich meine, auf Deutsch? Warum nich´?“
Grebert (sieht ebenso wie Moldenhauer mit Vorwurf im Blick auf den agonierenden Stuch hinüber): „Ja, das kann man durchaus auch gleich auf Deutsch sagen!“
Moldenhauer: „Warum macht der Mann das? Aus Daffke? Oder weil er änigmatisch wirken möchte? (Zu Grebert gewandt) Vermutlich will der einfach nur ein wenig angeben…“
Grebert: „Ja, es gibt solche Menschen… Fremdwörter benutzen, um die eigene Überlegenheit zu betonen, und dem anderen die Unterlegenheit gravierend deutlich zu machen.“
Stuch (blubbert aus der Nase, röchelt, stöhnt, ächzt, hustet Blut): „Tschulltschungk!“
Ein Passant, Walter Reiffenstecher, hatte die Szene beobachtet. Während Grebert sein Handy hervorholte und die Nummer der Rettung wählte, ging Reiffenstecher zum Unfallopfer Stuch, fragte: „Und was wird aus Ihrem Einkauf, Sie armer Mensch?“ Stuch: „Bei mir gehen die Lichter aus. Da interessiert mich mein Einkauf nicht mehr weiter. Sie können gern alles haben. Nehmen Sie nur. Ich kann´s eh nicht mehr brauchen. Nehmen Sie, werter Herr, nehmen Sie sich… Alles, was Sie haben möchten.“
Reiffenstecher sammelt langsam und bedächtig die vielen Teile auf dem Trottoir auf und gibt sie in die nahezu intakte Tasche. Als er damit fertig ist, geht er erneut zu Romuald Stuch, sagt, tief zu ihm hinuntergebückt: „So, das wär´s nun. Leider sind zwei der Speisequark-Packungen kaputt gegangen, die hab ich liegengelassen. Der Beutel Reis ist an der Seite aufgeplatzt, aber ich konnte den Inhalt einigermaßen sichern. Und der Thunfisch ist eingedrückt, aber wohl noch ziemlich in Ordnung. Übrigens war da auch Ihr Portemonnaie im Einkaufsbeutel. Das wollen Sie sicher zurück haben, oder?“ (Fragend, lauernd) Stuch, blubbernd: „Nee, das brauch ich ja nicht mehr. Wozu auch? Nehmen Sie nur. Nehmen Sie alles, guter Mann. Nehmen Sie und gehen Sie… Mit Gott und allen guten Wünschen!“ Reiffenstecher: „Und was ist da drin, in der Geldbörse? Ist da eventuell noch Geld drin?“
Stuch, mühsam: „Lassen Sie mich überlegen… Ich ging mit 75 Euro zum Einkaufen, das war rund um 13 Uhr. Eingekauft habe ich für… für… Aaah, mein Kopf, hab so Schädelweh…“
Reiffenstecher unterbricht, hastig: „Hier… Hier ist Ihr Kassenbon. Da steht´s ja. Sie kauften für 37,49 Euro ein. Dann müssten in Ihrer Geldbörse noch… Dann müssten da noch… Fast… In etwa…“ (sieht hilfesuchend erst Stuch, dann Grebert, dann Moldenhauer an) - Grebert, der schon immer gut im Kopfrechnen war, stolz: „Dann sind in der Geldbörse noch exakt 37,50 Euro! Ha!“ Moldenhauer, triumphierend: „Einundfünfzig!“ Grebert: „Wie bitte?“ Moldenhauer: „Es sind noch 37,51 Euro in der Geldbörse!“ Grebert: „Na ja, der eine Pfennig!“
Reiffenstecher: „Cent!“ Moldenhauer: „Was sind Sie denn für´n Korinthenkacker?“ Reiffenstecher: „Ich darf doch wohl sehr bitten…“
Grebert, zu Reiffenstecher gewandt: „Halten Sie sich doch gefälligst raus, Sie Schlemihl! Gar nicht an den Unfällen beteiligt sein und dick absahnen, was? Geld UND Lebensmittel, was?“
Moldenhauer: „Ganz richtig! Warum kriegt DER alles ab? Thunfisch UND Kohle. Das ist ja ungerecht. Wir sollten das unter uns dreien aufteilen. Nein, noch besser. Das Geld sollte für Sie und mich sein, den Einkauf mag der Typ (zeigt mit der Nase zu Reiffenstecher hinüber) dort an sich nehmen, meinetwegen…“
Grebert: „Nicht so hastig. Augenblickchen mal...“ Betrachtet den Einkauf, indem er das eine oder andere Teil umschichtet. Dann: „Ich beanspruche die Nackensteaks und die Remoulade für mich. Durch diesen Mist hier (zeigt auf die Unfall-Autos und den blutenden Stuch) bleibt mir keine Zeit zum Einkauf mehr. Bis die Polizei das Unfallgeschehen aufgenommen hat und wir alle dann endlich entlassen sind, vergeht so viel Zeit, dass ich nicht mehr einkaufen kann. Ich will die Nackensteaks! Und die Scheiß Remoulade auch!“
Reiffenstecher: „Hat denn überhaupt schon wer die Polizei angerufen?“ Grebert und Moldenhauer, unisono: „SIE sollten sich doch raushalten, ´dammich eins!“
Reiffenstecher, verschmollt: „Sie sind alle beide großartige Vertreter unserer Spezies, oh ja. Die Menschheit kann sich glücklich schätzen, solch exorbitant großartige Persönlichkeiten hervor gebracht zu haben! Jawoll. Glücklich schätzen!“ Grebert, zu Reiffenstecher: „Ich biete Ihnen hiermit Prügel an! Heftige!“ Moldenhauer, schmerzverzerrten Gesichts: „Und wenn ICH könnte, dann hülfe ich jenem!“ Stuch, undeutlich: „Ist das grammatikalisch eigentlich korrekt?“ Moldenhauer und Grebert, zu Stuch, unwirsch: „Wer kriegt denn nun die Nackensteaks?“
Stuch: „Mag sie doch nehmen, wer will. Mich tangiert das alles nicht mehr. Ich bin, wie man so schön sagt, am weiteren Geschehen nicht mehr interessiert…“
Reiffenstecher, hatte die Geldbörse Stuchs eingehend untersucht: „Hier sind Ihre Papiere, Herr Stuch. Sollte ich Ihnen den Ausweis nicht vielleicht zur besseren Identifikation der späteren Leiche vorne in die Hemdtasche stecken?“ Stuch: „Das scheint mir eine gute Idee zu sein…“
Ergo nimmt Reiffenstecher den Personalausweis und den McDonald´s Kaffee Sammelpass plus der Bus-Monatskarte und steckt Stuch alles mühevoll vorne in die Hemdtasche. Dabei dreht er den heftig stöhnenden und ächzenden Stuch leicht herum, lässt ihn hernach wieder aufs Gesicht fallen, wischt sich die mit Blut beschmierten Hände an Stuchs Hemd ab, steht auf, fragt ihn: „Und? Sind Sie Organspender? Dann könnten wir (zeigt auf die Herren Grebert und Moldenhauer) den Sanitätern das doch gleich mitteilen.“
Stuch (blubbert Unverständliches): „Braaat Rachmaninoff guuut duuuurch…“
Grebert: „Das versteht ja keiner mehr…“
Moldenhauer: „Der nibbelt wohl gerade ab…“
Reiffenstecher: „Sollten wir nicht… ich meine… eine Art Gebet oder so sprechen?“
Grebert und Moldenhauer, zu Reiffenstecher gewandt: „Wollten SIE sich nicht raushalten?“
Der Rettungswagen biegt mit lauter Sirene um die Ecke, rast auf das Geschehen zu. Walter Reiffenstecher wollte gerade die Straße mit dem Einkaufsbeutel Stuchs überqueren, um die Steaks Grebert zu überreichen, da erfasst ihn der RTW Breitseite, mit voller, ungebremster Wucht. Reiffenstecher fliegt gute 4 m weit und bleibt mitten auf der Straße, bizarr verkrümmt und heftig blutend, liegen. Der Mann ist sofort tot. Gehirnmasse fließt auf die Straße.
Die beiden blutjungen Sanitäter springen aus dem Einsatzfahrzeug, betrachten die Szenerie in großer Sorge, in stummem Entsetzen und in teilnahmsloser Hilflosigkeit. Grebert schnappt die fast intakte Einkaufstasche des röchelnden Stuch und spricht den knapp neben ihm stehenden Fahrer des RTW an: „Das ist übrigens mein Einkauf! Und der dort heißt Donald Tusk (zeigt auf Stuch).“ Moldenhauer: „Aber das Portemonnaie gehört mir!“
Stuch, jetzt doch wieder ziemlich deutlich: „Ich spende keine Organe! Nich´ mal ´ne Milz!“
Grebert zu Moldenhauer: „Nicht normal, der Typ. Anscheinend haben wir´s hier mit einer Art von Athanasie zu tun!“ Beide Sanitäter und Moldenhauer: „Athana… waaaaas?“ -E N D E-
DAS WAR NUN WIRKLICH NICHTS FÜR SCHWACHE NERVEN, RICHTIG?